Die Lautsphäre des Ozeans und anthropogener Lärm
09.02.2021 Zeit für internationales Handeln
Durch Bauarbeiten im Meer, die Schifffahrt und die Gas- und Ölförderung werden die Ozeane immer lauter. Eine umfassende internationale Studie zeigt jetzt, dass von diesem Lärm weit mehr Tierarten in ihrem Verhalten betroffen sind, als bisher angenommen. Die Forscherinnen und Forscher fordern, genau hinzuhören in den Ozean und den Lärm endlich weltweit zu regulieren. Die entsprechenden technischen Lösungen gibt es bereits.
Die Meere werden immer lauter. Sprengungen, Knallkörper, Rammschläge in den Boden für die Öl- und Gas-Exploration und Gewinnung dröhnen viele Kilometer weit und betreffen mittlerweile nicht nur den Küstenraum, sondern auch die Tiefsee. Hinzu kommt das Brummen von vielen Tausend Frachtschiffen, Motoryachten oder Jet-Skis. Fachleute gehen davon aus, dass der Lärm im Meer durch menschliche Aktivitäten künftig noch zunehmen wird. Das ist bedenklich, weil der Lärm Meerestiere schon heute stark belastet. Er kann Meerestiere in ihrem Verhalten beeinflussen, vertreiben, bei der Nahrungssuche stören oder in extremen Fällen sogar das Gehör von Robben oder Walen schädigen. Viele Tiere verständigen sich durch Geräusche und Rufe – Delfine und andere Wale sowie auch Fische, Krebse und andere Wirbellose. Die Kommunikation des Lebens im Meer, genannt die Lautsphäre des Ozeans, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit durch den sich in den Meeren ausbreitenden Lärmteppich mehr und mehr gestört. Dabei hat schon die Überjagung der Wale im letzten Jahrhundert zu einer globalen Veränderung der Lautsphäre geführt.
Das ganze Ausmaß des Lärms einschätzen
Die Probleme liegen auf der Hand. Dennoch ließ sich bislang kaum beziffern, wie stark der Lärm die Meeresorganismen tatsächlich beeinträchtigt. Das liegt daran, dass Tiere abhängig von der Situation, dem Alter, dem Geschlecht oder der Jahreszeit ganz unterschiedlich auf Lärm reagieren. In einer groß angelegten Übersichtsstudie hat ein internationales Team aus 25 Forscherinnen und Forschern jetzt mehr als 500 aktuelle wissenschaftliche Studien zum Meereslärm ausgewertet, um erstmals genau einschätzen zu können, wie schlimm die Lärmverschmutzung der Meere tatsächlich ist, beziehungsweise welche Meerestiere besonders betroffen sind. „Die verschiedenen Verhaltensweisen, die Tiere bei Lärm zeigen, machten es bislang schwierig, von Einzelbeobachtungen auf das Große und Ganze zu schließen und die Gefahren des Lärms umfassend zu bewerten“, sagt die Biologin Ilse van Opzeeland vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Sie hat an der Studie mitgearbeitet, die jetzt im Fachjournal Science erschienen ist. „Unsere Übersichtsstudie ist eine Synthese wissenschaftlich relevanter Noise-Studien seit den 70er Jahren. Sie zeigt, dass der Meereslärm viele sehr unterschiedliche marine Tierarten beeinträchtigt und dass der Lärm bestimmter Geräuschquellen negative Folgen hat.“
Klangbrei über alle Frequenzen
Die umfassende Analyse der rund 500 Fachartikel zeigt eindrucksvoll, dass die Tonhöhen des Meereslärms zu einem großen Teil ausgerechnet in jenem Bereich liegen, in dem Meerestiere kommunizieren. Manche Störquellen lärmen über sehr weite Tonhöhen-Bereiche, von ganz tiefen bis zu sehr hohen Tönen. Dazu gehören vor allem kleine und große Schiffe, das rappelnde Fanggeschirr von Trawlern oder die Arbeiten auf Öl- und Gasplattformen. „Dass zum Beispiel Schweinswale in der Nordsee bei Rammarbeiten in Windparks flüchten, wissen wir schon lange“, sagt Ilse van Opzeeland. „Die von uns ausgewerteten Studien zeigen jetzt aber, dass offenbar noch ganz andere Tierarten auf Lärm reagieren – etwa Nesseltiere, zu denen Quallen gehören, und sogar Muscheln.“
Zeit für internationales Handeln
Da das Wissen über die Auswirkungen von Meereslärm lange lückenhaft schien, wurde das Thema Meereslärm in der internationalen Meerespolitik im Vergleich zu Aspekten wie der Erwärmung und Ozeanversauerung oder der Verschmutzung der Ozeane durch Schadstoffe und Plastik eher stiefmütterlich behandelt. „Zwar haben Europa und einzelne Staaten das Thema Meereslärm auf ihrer Agenda, internationale Schutzbemühungen aber gibt es bisher nicht“, sagt Ilse van Opzeeland. Eine Ausnahme sei die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie der Europäischen Union, die die Lärmbekämpfung klar als Ziel definiert hat. Angesichts der jetzt vorgelegten hieb- und stichfesten Analyse, fordert das Autoren-Team jetzt eine stärkere internationale Kooperation. Dabei verweisen die Autoren auf die Notwendigkeit, die vielen Drücke auf Meeresbewohner zusammen zu betrachten, denn Klimawandel und Vermüllung sind lokal schwer zu steuern, Lärm allerdings schon.
„Natürlich lassen sich nicht alle Lärmquellen im Meer wie zum Beispiel der Ausbau der Windkraft und die Handelsschifffahrt komplett abstellen“, sagt Ilse van Opzeeland. „Dennoch lässt sich der Meereslärm durch verschiedene Maßnahmen sehr gut reduzieren.“ In der Nord- und Ostsee zum Beispiel legt man seit einiger Zeit Blasenschleier um die Windradbaustellen, die das Echo der Rammschläge dämpfen. Im östlichen Mittelmeer wiederum führte eine Geschwindigkeitsbegrenzung für Schiffe um rund zwei Knoten zu einer Minderung des Lärms um rund 50 Prozent. Und die Explosionen und Schüsse der Luftpulser (Airguns) bei der Rohstoffsuche lassen sich, so die Autorinnen und Autoren, durch Geräte ersetzen, die vom Meeresboden aus starke Vibrationen in die Tiefe schicken. „Insofern wollen wir mit unserer Studie auch Hoffnung machen. Der Trend lässt sich umkehren. Die Meere müssen nicht zwangsläufig lauter werden. Unsere Studie zeigt, wie ernst das Problem ist. Aber auch, dass man den Lärm vor allem durch internationale Zusammenarbeit bekämpfen kann.“
Weitere Informationen unter: www.awi.de